Den Zähnen wird zu viel Saures gegeben, Interview mit Dr. Jürg Eppenberger in der „Zentralschweiz am Sonntag“

Säurehaltige Getränke und Nahrungsmittel können unseren Zähnen arg zusetzen. Auch und vor allem dann, wenn man die Zähne gut putzt. Der Luzerner Zahnarzt Jürg Eppenberger zeigt Auswege aus dem Dilemma.

Was versteht man genau unter Zahnerosion? 
Jürg Eppenberger *: Durch die immer wiederkehrende Einwirkung von Säuren auf die Zahnoberflächen kommt es zu einer schleichenden Zerstörung der Zähne. Unter Erosion versteht die Zahnmedizin die Zerstörung der Zähne ohne Einfluss von Karies. Stoffe die Erosionen verursachen, sind erosiv.

Wie muss man sich diese Erosion vorstellen?
Eppenberger: Säuren haben die Kraft, den Zahnschmelz, die härteste Substanz im menschlichen Körper, weich zu machen und im Endeffekt zu zerstören. Säuren im Mund weichen die Zahnoberflächen auf. Sie sind auf Dauer nicht mehr genügend stabil. Zähneknirschen, aber auch Zähneputzen schadet dann den Zähnen, weil die Zahnoberfläche zu stark abgeschmirgelt wird.

Ist denn eine gewisse Abnutzung der Zähne nicht ein normaler Prozess? 
Eppenberger: Doch, im Verlaufe des Lebens ist das natürlich. Die Frage ist nur, wie rasch und stark die Abnutzung passiert. Heute sehen wir bereits 30-Jährige, die Schmerzen haben beim Essen, da der ganze Zahnschmelz verbraucht ist!

Dabei heisst es doch immer, die heutigen jungen Leute hätten allgemein sehr gute Zahne und wenig Karies.
Eppenberger: Mit den weltweit einzigartigen Prophylaxemassnahmen haben wir in der Schweiz effektiv hervorragende Resultate erreicht. Viele Leute haben gesunde Zähne ohne Füllungen. Aber das kann auch trügerisch sein, denn in der modernen Gesellschaft müssen wir nun die gesunden Zähne vor den Säuren schützen, sonst halten sie trotz Kariesfreiheit nicht das Leben lang. Man geht jetzt schon davon aus, dass in der Schweiz wie in anderen europäischen Ländern rund 30 Prozent der Bevölkerung Zähne mit deutlichen Erosionsschäden haben. Das ist viel!.

Sind denn Säuren heute ein grösseres Problem als früher?
Eppenberger: Ja, da heute mehr gesunde Zahnflächen im Mund vorhanden sind, wir aber zum einen viel mehr saure Nahrungsmittel und Getränke konsumieren. Viele enthalten Säuren, die man oft nicht als sauer empfindet, da sie auch viel Zucker enthalten. Die Angewohnheit, immer wieder zwischendurch solche Getränke einzunehmen und damit die Zähne wiederholt Säuren auszusetzen, ist ein Problem. Ein weiteres ist das Aufstossen von Magensäure, das heute 5-mal häufiger auftritt als noch vor 30 Jahren. 

Magensäure zerstört die Zähne?
Eppenberger: Ja, sie ist sehr aggressiv und zerstört typischerweise die Zahnoberflächen auf der Zungen und Gaumenseite und den Kauflächen. Das Aufstossen findet oft nach dem Essen oder beim Liegen, also nachts statt, wenn die Speichelproduktion, die die Säure verdünnen könnte, vermindert ist.

Wie können Betroffene tun?
Eppenberger: Falls man an regelmässigem saurem Aufstossen leidet, sollte eine allgemeinärztliche Abklärung stattfinden, auch, weil Magensäure in der Speiseröhre Krebs hervorrufen kann. Es gibt auch Krankheiten wie Bulimie oder Anorexie, bei welchen Betroffene regelmässig erbrechen. Sie gehören unbedingt in eine ärztliche und zahnärztliche Betreuung. 

Den Säuregehalt eines Nahrungsmittels kann man mit dem sogenannten pH-wert messen. Gibt es einen Wert, ab welchem es problematisch wird?
Eppenberger: Lange Zeit wurden Nahrungsmittel mit einem pH-Wert kleiner als 5,7 als zahnauflösend eingestuft. Heute wissen wir, dass der pH-Wert nicht alleiniger Gradmesser für die Gefährlichkeit eines Getränks oder Nahrungsmittels verwendet werden kann. Eiweisse, Kalzium oder andere Stoffe die den Getränken oder Nahrungsmittel beigegeben werden, können die Säuren zum Glück neutralisieren und so ungefährlich machen. So ist etwa ein Joghurt trotz pH 4, auch mit Zitronengeschmack, ungefährlich, da Joghurt viel Kalzium enthält. 

Sollte man denn die schädigenden Nahrungsmittel und Getränke am besten nicht konsumieren?
Eppenberger: Im Prinzip ja oder zumindest nur selten. Eine Deklaration aller sauren Getränke wäre gesundheitspolitisch sinnvoll. Die Aufklärung über die Gefahren der Entstehung von Zahnerosionen würde so erleichtert.

Dass auf geliebte Getränke ganz verzichtet wird, ist wohl realitätsfremd. Wie könnte ein praxisnäherer Umgang mit säurehaltigen Nahrungsmitteln und Getränken aussehen? 
Eppenberger: Grundsätzlich sollte sich jeder bemühen, von seinen bevorzugten Nahrungsmitteln oder Getränken zu wissen, ob sie säurehaltig sind und die Zähne aufweichen könnten. Auf der Verpackung von Lebensmitteln sind die Inhaltsstoffe aufgelistet. Zweitens ist wichtig, dass möglichst selten pro Tag saure Getränke oder Speisen konsumiert werden. 

Was heisst möglichst selten?
Eppenberger: Maximal zweimal pro Tag. Es ist wichtig, saure Getränke rasch und sofort hinunterzuschlucken und nicht durch die Zähne zu ziehen oder lange im Mund zu belassen. Drittens: Keine sauren Getränke zu sich nehmen vor dem Zubettgehen und in der Nacht. Viertens: Nur Mineralwasser ohne Geschmack trinken – Mineralwasser Lemon ist sehr erosiv! – und während des Sports keine Sportgetränke, auch keinesfalls Zitronenschnitze lutschen. Fünftens macht es Sinn, saure Lebensmittel zusammen mit Milchprodukten zu verzehren, so beispielsweise Fruchtsalat mit Quark oder Fruchtsaft mit Buttermilch oder Naturjoghurt mit Früchten ohne zusätzlichen Zucker usw.

Wie steht es mit dem Zähneputzen, wenn die Zähne durch die Säure aufgeweicht wurden. Wann soll man putzen?
Eppenberger: Die Problematik wird mit Ihrer Frage erst richtig sichtbar. Nach einem «Säureangriff» werden die Zahnoberflächen innert rund vier Minuten aufgeweicht. Das ist sehr schnell. Wer anschliessend die Zähne putzt, schürt dabei auch aufgeweichte Zahnoberfläche weg. Zähneputzen ist jedoch nötig, das wissen wir alle, da sonst Karies oder Zahnfleischentzündung entstehen. Sind Säuren im Spiel haben wir also ein Dilemma. Es gibt aber zwei Auswege.

Nämlich?
Eppenberger: Vor dem Einnehmen von sauren Getränken oder Nahrungsmitteln die Zähne mit einer weichen Zahnbürste oder Schallzahnbürste und schwach abschmirgelnder Zahnpaste, die Fluorid und Zinn (laut einer Studie der Universität Bern ist zum Beispiel Elmex Erosionsschutz in der violetten Verpackung geeignet) enthalten muss, reinigen. Oder sofort nach dem Einnehmen von sauren Getränken oder Nahrungsmitteln mit Wasser spülen. Wasser hilft! Wer es ganz gut machen will, spült mit zinn- und fluoridhaltigen Spüllösungen (siehe Kasten).

Oder einfach eine halbe Stunde warten mit Zähneputzen. 
Eppenberger: Das nützt eben nichts. Bis der erweichte Zahnschmelz wieder einen genügenden Schutz gegen den Abrieb aufweist, braucht es Stunden oder gar Tage. Bei Erbrechen oder saurem Aufstossen solle man jedoch mit Zähneputzen abwarten. Denn Magensäure, die in den Mund gelangt, greift den Zahnschmelz sehr stark an. Hier ist es besser, sofort den Mund mit Wasser oder Milch zu spülen und später die Zähne zu putzen.

Wie erkennt man, ob die eigenen Zähne durch Säure 
Eppenberger: Regelmässige zahnärztliche Kontrollen sind wichtig, denn Fachleute erkennen Schädigungen frühzeitig und können vorbeugende Massnahmen einleiten. Selber entdeckt man vielleicht gelbe Flecken auf den Zahnflächen oder Füllungen, die zu gross erscheinen und über die Zahnoberflächen hinausragen. Wenn Zähne beim Essen empfindlich werden – nicht nur bei kalten Speisen –, ist die Schädigung meist oft schon stark fortgeschritten. Ein dringendes Alarmzeichen sind ausgefranste, scharfe und dünne Schneidekanten der vorderen Zähne im Oberkiefer. 

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für angegriffene Zähne?
Eppenberger: Als erstes gilt es immer, die Ursache der Säureeinwirkung herauszufinden, was sehr oft nicht so einfach ist. Dann wird man versuchen, diese Säureeinflüsse zu verhindern, auch durch eine Veränderung der Konsumgewohnheiten. Zudem gibt es verschieden Möglichkeiten die angegriffenen Zähne zu schützen oder wieder zu rekonstruieren. 

Was genau?
Eppenberger: Das richtet sich nach dem Schweregrad sowie dem Alter und den Bedürfnissen der Patienten. Es gilt, so wenig wie möglich die Zahnflächen zu beschleifen. Sehr kleine Defekte wird man mit Kunststoff versiegeln. Bei grösseren Defekten können zahnfarbene Kompositfüllungen dem weiteren Verlust an Zahnoberfläche vorbeugen. Sind mehrere Flächen pro Zahn betroffen, kommt auch Keramik oder Porzellan in Frage, um die durch die Säure verlorene Zahnsubstanz wieder aufzubauen. Bei sehr ausgedehnten Defekten, die zum Glück sehr selten sind, können auch Kronen nötig werden. Wichtig ist deshalb frühzeitiges Erkennen und frühzeitige Prävention.

Was weicht Zähne auf? Was nicht?

Säurehaltige Getränke die Zahnoberflächen aufweichen:

• Softdrinks wie Coca Cola, Fanta, Ice Tea, Pepsi, Orangina, Rivella, Sprite, Schwepps usw.

• Sportgetränke wie Gatorade, Powerade, Isostar.

• Energy Drinks wie Red Bull usw.

• Fruchtsäfte wie Apfelsaft, Grapefruitsaft, Orangensaft, Multivitaminsaft.

• Alkoholische Getränke wie Bacardi, Breezer, Smirnoff, Wein, Sekt.

• Diverses wie Früchtetees, Essig, Fertigsalatsaucen, Apfelmus, Aprikosen, Obst.

Getränke ohne Zahnangriff 

• Softdrinks: Mineralwasser natur, mit oder ohne Kohlensäure

• Sportgetränke: Perform

• Fruchtsäfte: Fruchtsäfte die CPP-ACP enthalten

• Alkoholische Getränke: Bier

• Milchprodukte: Milch, Sauermilch, alle Joghurt.

Säureschäden: so beugt man vor

Vorschläge von Prof. Adrian Lussi von der Zehnmedizinischen Klink der Universität Bern.

• Konsum von säurehaltigen Lebensmitteln reduzieren und auf wenige Hauptmahlzeiten beschränken.

• Getränke rasch trinken und nicht durch Zähne ziehen. Nippen vermeiden.

• Unmittelbar nach Säurekonsum mit Wasser oder idealerweise mit zinnfluoridhaltigen Spüllösungen spülen. Das Beste nach einem Energy Drink ist ein grosser Schluck Wasser. Der kostet nichts und ist auch in einer langen Partynacht problemlos erhältlich. Wasser hilft!

• Zahnschonende Kaugummis zur Speichelflussanregung.

• Mit Kalzium angereichert Getränke oder Lebensmittel verwenden.

• Vor dem Säurekonsum Zähne zahnschonend reinigen mit weicher Zahnbürste oder Schallzahnbürste mit fluorid- und zinnhaltiger schwach abschmirgelnder Zahnpaste.

Autor: Dr. med. dent. Jürg Eppenberger
Erschienen in: Zentralschweiz am Sonntag am 16. August 2015